Vor 25 Jahren wurde Homosexualität aus dem Krankheitsindex der Vereinten Nationen gestrichen. Der 17. Mai wurde daher zum „Internationalen Tag gegen Homo – Bi und Trans*phobie“, kurz: IDAHOT erklärt. Er soll auf die anhaltende Diskriminierung sexueller Minderheiten überall auf der Welt hinweisen. Heute jährt sich der IDAHOT zum elften Mal.
„Homophobie“ – ein geflügelter Begriff. Aber wer oder was ist „homophob“ und was bedeutet das eigentlich? Nimmt man es wörtlich, sprechen wir von einer „Phobie“, ist es pathologische Disposition? Vielleicht würden einige Homohasser_innen sogar die These unterstützen, dass sie „nichts dafür können“ und ihnen ein Ekel oder allgemeiner Abwehrmechanismus urmenschlich, natürlich, zugrunde liegt – es ihnen eine Disposition ist, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Obwohl diese Position natürlich bestandslos und vollkommen lächerlich ist hat sich dieser Begriff jedoch durchgesetzt. Wer heute und in den vergangenen Tagen aufmerksam die Medien betrachtet hat findet mannigfache Analysen zu und über prominente Homohasser_innen wie Beatrix von Storch und Birgit Kelle oder aber Berichte aus und über Staaten wie Uganda oder Saudi-Arabien. Es scheint mir, dass in unserer „aufgeklärten Gesellschaft“ also folglich nur noch solche Personen homophob sind, die entweder dem von der Allgemeinheit ohnehin verurteilten Randgruppen Ultrakonservativer und Rechtsextremer angehören, oder keine „deutsche Sozialisation“ erfahren haben. Der gesellschaftliche Mainstream, „ob Hetero oder Homo“, fordert Toleranz und Akzeptanz, weil Schwule und Lesben doch „eigentlich ganz normal“ seien.
Nun also ist der_die geneigte Bürger_in endlich bereit „Normalität zu akzeptieren“, können sich Schwule und Lesben also freuen in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Ein vielfach genutztes Muster „Homo, Hetero, Bi, Scheißegal“ ziert Poster wie auch Postkarten und suggeriert dass es heute egal sein könne welche sexuelle Orientierung das jeweilige Individuum hat. „Egal“ bedeutet dass nicht mehr darüber gesprochen werden muss, es kein Thema mehr für gesellschaftlichen Diskurs darstellen muss ob ein Mensch nun Hetero ist oder nicht. Ich muss gestehen, dass mich diese Position verwundert. Natürlich wünsche auch ich mir eine Welt, in der sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität keine Rolle mehr spielen, kein Thema mehr sind – aber ich wünsche mir auch eine Welt in der es keine Nazis gibt, es keinen Sexismus gibt, und in der jeder Mensch so viel besitzt wie er_sie mag und braucht. Allerdings ist dieser Zustand zweifelsohne weit entfernt. Ich stimme zu: Als schwuler Mann kann ich heutzutage in Deutschland unter bestimmten Bedingungen beinahe unbehelligt leben: Ein Haus, eine eingetragene Lebenspartnerschaft, ein Golden Retreiver. Ganz normal eben. Wer sich nicht anpasst ist eben selber schuld, wenn die Menschen komisch reagieren. Man muss ja nicht immer gleich „so krass“, „so tuntig übertrieben“, so „klischeeschwul“ oder „gleich ne Kampflesbe“ sein. Friss oder stirb quasi. Normalität ist eben nicht gleich Realität, sondern bezeichnet das Maß der Anpassung von Individuen und Minderheiten an die Herrschaftsverhältnisse der Mehrheitskultur. Diese ist weiß, heterosexuell und männlich. Akzeptanz also gleicht der Forderung nach einer Anpassung – die im Gegenzug vor Totschlag schützt. Sie ist soetwas wie unser Schutzzoll, den wir an die Gesellschaft zahlen müssen. Nur die Mehrheit kann die Minderheit akzeptieren, solange die Minderheit glaubt, dass sie die Akzeptanz der Mehrheit benötigt, solange sie einfach auch mitmachen können will.
Martin Dannecker postulierte schon 1971 in Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“:
„Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen die noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Sie sind politisch passiv und verhalten sich konservativ als Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden.“
Solange Menschen heute noch ein Coming-Out haben müssen, solange ein Kuss eine Provokation ist, solange Normalität als Synonym für Anpassung genutzt wird und wir auf Akzeptanz hoffen müssen ist es also noch lange nicht „scheißegal“ ob nun „hetero oder homo“. Sprechen wir darüber, kämpfen wir für unsere Emanzipation, werden wir sichtbar: Schrill, laut, tuntig und eben anders.
Ein Kommentar von Tarek Shukrallah
Datum der Veröffentlichung: 17.Mai.2015
Link zum Original: https://rosaliste.wordpress.com/2015/05/17/idahot2015/
Disclaimer: Dieser Inhalt wurde unverändert von der alten Website der Rosa Liste übernommen. Als Liste mit lange zurückführender Geschichte an der Universität verstehen wir die Bedeutung von Archivierung und Kontinuität. Was du hier liest, ist also nicht unbedingt unser heutiger Standpunkt, aber Teil dessen, woher wir kommen.