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Fortschritt kann nur dann entstehen wenn wir fortschreiten. Politisch passiv, auf den Schultern der Toleranten und den Verfechtern von Akzeptanz bleiben LSBT*IQ auf dem Weg zu ihrer Emanzipation kaum weiter als in ihren Kinderschuhen stehen. Eine fordernde Emanzipation jedoch kann nur aktiv erlangt werden. Wir müssen aufstehen, rausgehen und uns gegen den Fortbestand heteronormativer Unterdrückungsmechanismen wehren.
Die augenscheinlich erzielten Fortschritte in der Emanzipation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen*, Trans* und Intersexuellen in der Frage um eine Gleichstellung mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heterosexueller Lebensentwürfe, Normen und Standards entrückt die Diskussion um die tatsächliche Emanzipation marginalisierter sexueller und geschlechtlicher Identitäten ihres eigentlichen Gegenstandes.
Einerseits sind Ablehnung und Hass gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen auch heute noch ein gesellschaftlich tief verankertes Phänomen welches sich nicht nur innerhalb einer Diskussion um Toleranz und Grenzen von Toleranz erschöpft. Andererseits wird durch eine kritische Analyse gesellschaftlicher Transformationsprozesse, welche sich aktuell insbesondere durch eine als „Rollback“ der Gesellschaft bezeichnete starke Ausprägung reaktionärer Tendenzen, nicht nur in Bezug auf Sichtweisen gegenüber der Emanzipation von LSBT*IQ, offenkundig, dass hegemoniale Interessen gesellschaftlicher Eliten, Meinungsführer_innen und in der Norm assimilierter Menschen eine massive Bedrohung der uneingeschränkten Würde des Menschen und der Befreiung von heterosexistischen Normen und Werten bedeuten. „Toleranz“, das Erdulden, Ertragen, impliziert ebenso wie „Akzeptanz“ einen intellektuellen Vorgang welcher sich durch ein Machtgefälle nährt. Die herrschende heteronormative Gesellschaft gewährt der nicht-heterosexuellen Minderheit ein Existenzrecht unter der Voraussetzung vollständiger Assimilation. Die passive Minderheit befindet sich somit in einem erzwungenen Abhängigkeitsverhältnis.
Infolgedessen kann auch trotz gemachter Fortschritte wie der Gleichstellung homosexueller Lebenspartner_innenschaften mit der traditionellen Ehe nicht von einer Befreiung von LSBT*IQ-Lebensrealitäten im Sinne einer Emanzipation, oder im Sinne von einer Beendigung des hegemonial-normativen Heterosexismus die Rede sein. Vielmehr wird, wie eingangs erwähnt, die zentrale Debatte um die Machtverhältnisse und Interessen der heterosexuellen Norm ihrem Kern entrückt, und durch Scheindebatten um eine gesellschaftliche und juristische Gleichstellung ersetzt. Explizite Frage- und Problemstellungen nicht-heterosexueller Menschen sind auch heute unterrepräsentiert und finden in der politischen, strukturellen und gesellschaftlichen Debatte kaum Beachtung. Die daraus resultierenden Lebensrealitäten finden somit primär nur im Kontext von Subkultur Raum für eine gleichwertige Entfaltung. Die mit dem Heterosexismus einhergehenden Formen gruppenspezifischen Menschenhasses schlagen sich einerseits in der strukturellen Unterdrückung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Trans* und Intersexuellen nieder; andererseits kann eine explizite Debatte um hegemoniale Männlichkeit nicht ohne die gleichzeitige Analyse weiterer Diskriminierungsmerkmale betroffener Individuen geführt werden. Intersektionalität ist ein inhärentes Thema diskursiver Diskriminierungsanalyse. Diese grundlegende Feststellung impliziert zwangsläufig auch eine Analyse der durch die heteronormative Hegemonie verankerten Formen gruppenspezifischen Menschenhasses auch im Kontext nicht-heterosexueller Subkultur. Rassismus, Sexismus und andere Formen androzentrischer Diskriminierung treten vermehrt auch in deklarierten Schutzräumen auf. Dennoch benötigt die Förderung der Emanzipation der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten jenseits der Heteronormativität die Sicherstellung von Schutzraum. Nicht nur bilden sie eine Basis zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, vielmehr noch bilden sie Ankerpunkte für marginalisierte Identitäten zum kurzzeitigen, und auch hier nur eingeschränkten, Rückzug vor den Normvorstellungen der heterosexuellen Herrschaftsverhältnisse.
Die angesprochenen Missverhältnisse resultieren also nicht in einer defensiven und ansonsten politisch passiven Betrachtung, sondern in der Forderung nach einem emanzipatorischen Diskurs, der zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit patriarchalen und heterosexistischen Herrschaftsstrukturen impliziert.
Universitäten spielen in der Geschichte der Emanzipation eine nicht unerhebliche Rolle. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit Herrschafts- und Diskriminierungsverhältnissen darf jedoch keinesfalls als ein ausreichender Schritt in der Beseitigung derselben bewertet werden. Die inhaltliche Beschäftigung und kritische Reflexion politischer Sachverhalte bildet das Fundament für eine emanzipierte politische Praxis. Dennoch transportieren auch Universitäten als Bestandteil elitärer Machtstrukturen Verhältnisse, die nicht-heterosexuelle Lebensrealitäten negieren und strukturell diskriminieren. Dies äußert sich unter anderem in der Absenz von Konzepten zur gezielten Förderung von LSBT*IQ im Alltag der Universität, wie auch die durch Nichtbeachtung spezifischer Fragestellungen grundlegende Negation ihrer Leben und ihrer Diskriminierung an der Universität. Zu lange schon werden Universitäten von der heterosexuellen Identität dominiert. Es fehlen Konzepte gezielten Mitdenkens von LSBT*IQ an der Universität; Awarenessprogramme zur strukturellen Bekämpfung von Hass gegenüber Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Trans* und Intersexuellen finden nur in unzureichendem Umfang Beachtung. Es muss Bestandteil von Forschung, Lehre und Organisation der Universität sein, wie und in welcher Form sexuelle Minderheiten strukturell gefördert werden können.